Politik
14.06.2024

Drei Wochen zur Entscheidung: Die Neuwahlen zur französischen Nationalversammlung

Präsident Macron hat am Abend der Wahl zum Europäischen Parlament die französische Nationalversammlung aufgelöst. Die französischen Abgeordneten werden am 30. Juni und 7. Juli neu gewählt, anschließend wird eine neue Regierung gebildet. Präsident Macron bleibt im Amt, aber der Ausgang der Wahlen wird die Machtverhältnisse in Frankreich entscheidend beeinflussen. Worauf kommt es jetzt also an, welche Etappen führen zur nächsten Regierung, welche Szenarien sind denkbar und was bedeutet das für die Machtbalance zwischen Präsident und Premierminister:in?

Was passiert jetzt? Das französische Wahlsystem

Die 577 Abgeordneten der französischen Nationalversammlung werden in bis zu zwei Wahlgängen neu bestimmt. Das Wahlsystem zur französischen Nationalversammlung ist darauf ausgelegt, klare Mehrheiten hervorzubringen. Absolute Mehrheiten sind die Regel, ihr Fehlen wie in der derzeitigen Nationalversammlung ist eine Ausnahme. Es gibt in Frankreich 577 Wahlkreise, in jedem dieser Wahlkreise wird eine Person in die Nationalversammlung entsandt. Es gibt keine landesweiten Listen. Wähler:innen können nur die Personen wählen, die im eigenen Wahlkreis antreten. Das macht Prognosen zu den Kräfteverhältnissen nach der Wahl besonders schwierig.

Erster Wahlgang

Im ersten Wahlgang, der am 30. Juni stattfindet, müssen Kandidierende zwei Kriterien erfüllen, um gewählt zu werden: Sie benötigen eine absolute Mehrheit, also über 50% der abgegebenen Stimmen, die gleichzeitig 25% der wahlberechtigten Personen im Wahlkreis entsprechen müssen. Erreicht im ersten Wahlgang niemand diese Mehrheit, findet ein zweiter Wahlgang statt.

Zweiter Wahlgang

Im zweiten Wahlgang am 7. Juli reicht eine relative Mehrheit, also der größte Stimmenanteil, um gewählt zu werden. Grundsätzlich treten die beiden bestplatzierten Kandidierenden gegeneinander an. Doch auch Kandidierende, die im ersten Wahlgang die Stimmen von mehr als 12,5% der Wahlberechtigten im Wahlkreis bekommen haben, können antreten, was manchmal zu drei, selten vier Kandidierenden im zweiten Wahlgang führt.

Ernennung des bzw. der Premierminister:in und Regierungsbildung

Unmittelbar nach der Wahl ernennt der Präsident den oder die Premierminister:in als Spitze der Regierung. Das geschieht normalerweise innerhalb weniger Wochen. Der Präsident ist verfassungsrechtlich gesehen in seiner Wahl frei. Die Nationalversammlung muss der ernannten Person weder ihr Vertrauen aussprechen, noch musss sie die Wahl bestätigen. Politisch naheliegend und bisher etabliert ist es dennoch, eine Person auszuwählen, der bzw. die eine absolute Mehrheit der Abgeordneten hinter sich hat, um bei der Gesetzgebung handlungsfähig zu sein und erfolgreiche Misstrauensvoten zu verhindern. Anschließend schlägt der oder die Premierminister:in alle anderen Minister:innen vor, der Präsident muss ihre Ernennung dann bestätigen oder ablehnen.

Wahlbündnisse und Parteiendynamik

Wahlbündnisse verbessern Wahlchancen. Das Wahlsystem favorisiert große Parteien, sowie solche mit einer geografisch stark konzentrierten Wählerschaft. Durch Vereinbarungen und mehr oder weniger formal besiegelten Bündnissen können ideologisch nahestehende Parteien ihre Wahlchancen daher erhöhen. So haben sich 2022 im Rahmen des linken Bündnisses NUPES mehrere Parteien dazu verpflichtet, bereits im ersten Wahlgang nicht gegeneinander anzutreten. Das verhindert die Zersplitterung der Stimmen, schränkt aber auch die Wahlmöglichkeiten im Wahlkreis ein. Wählende können dann nicht mehr differenzieren, ob sie etwa eine grüne, linksaußen- oder Mitte-links-Kandidatur unterstützen, sondern lediglich die Person wählen, die das Wahlbündnis dazu auserkoren hat.

Der Präsident hat die Frist zur Neuwahl mit zwanzig Tagen so gering wie verfassungsrechtlich möglich gehalten. Das setzt alle Parteien unter enormen Druck. Kandidaturen müssen bis zum Sonntag 16. Juni offiziell eingereicht werden. Die Parteien müssen also innerhalb weniger Tage Bündnisse schmieden. Dafür müssen sie nicht nur gemeinsame programmatische Leitlinien definieren, sondern auch klären, welche Partei in welchem Wahlkreis ohne die Konkurrenz der anderen Bündnispartner antritt. Idealerweise einigen sie sich auch schon auf eine Person, die bei einem Wahlsieg das Amt der bzw. des Premierminister:in übernehmen würde. Bis zur Frist müssen alle Kandidat:innen sich in ihrem jeweiligen Wahlkreis angemeldet haben. Verschiedene Bündnisse zeichnen sich derzeit ab.

Ein linkes Bündnis: die „neue Volksfront“

Die Bildung eines linken Bündnisses wurde am 13.06 abgeschlossen. Sie umfasst einige linke und grüne Parteien, die wichtigsten sind La France Insoumise (LFI), die Parti Socialiste, Les Ecologistes, die Parti Communiste Français und Place Publique. Im gerade vor einer Woche abgeschlossenen Wahlkampf zum Europäischen Parlament sind diese Parteien auch aufgrund des anderen Wahlsystems getrennt angetreten und haben sich gegenseitig teils scharf kritisiert. Das Bündnis kommt trotz der starken Vorbehalte innerhalb des moderateren Lagers gegen die Linksaußenpartei LFI zustande. Inzwischen steht eine erste Grundsatzeinigung inklusive eines Verteilungsschlüssels für die Kandidaturen in Wahlkreisen und gemeinsamer programmatischer Leitlinien.

Verhandlungen über ein rechtes Bündnis

Die Ankündigung eines Wahlbündnisses zwischen der konservativen Les Républicains (LR) und dem rechtsextremen RN durch den LR-Vorsitzenden Ciotti hat für ein politisches Erdbeben gesorgt. Ciotti wurde von Mandatsträger:innen seiner Partei für diese Entscheidung massiv kritisiert, die er wohl ohne Gremienkonsultation am Parteivorstand vorbei getroffen hat. So stellte sich zum Beispiel umgehend die Gesamtheit der LR-Senator:innen öffentlich gegen diese Entscheidung. Ciotti wurde anschließend vom Parteivorstand von der Partei ausgeschlossen – einen Ausschluss, den er aus formalen Gründen anfechtet. Unklar ist derzeit noch, ob sich Ciotti rechtlich gesehen lange genug (also bis Sonntag) an der Spitze der Partei halten kann, um den Kurs der Partei in den Wahlen zu beeinflussen und Fakten zu schaffen. Der RN will weiterhin an der Vereinbarung mit Ciotti festhalten.

Die Verhandlungen zwischen den rechtsextremen Parteien RN und der noch weiter rechts stehenden Reconquête wurden nach anfänglicher Annäherung abgebrochen. Der RN-Parteichef Jordan Bardella begründete dies mit mangelndem Vertrauen in den Reconquête-Vorsitzenden Eric Zemmour. Marion Maréchal, Spitzenkandidatin von Reconquête bei der Wahl zum Europäischen Parlament und frühere RN-Hoffnungsträgerin, wurde wiederum von der Partei wegen ihrem Festhalten an einer Zusammenarbeit mit dem RN ausgeschlossen. Reconquêtes Kampagnenfähigkeit ist nach ihrem Abgang schwer angeschlagen, sie war neben dem Parteivorsitzenden eines der ganz wenigen Aushängeschilder der Partei. Das hilft dem RN, der damit weniger Stimmenzersplitterung zwischen rechtsextremen Parteien befürchten muss.

Ein Bündnis um Macrons Renaissance

Auch die Parteien, die den Präsidenten unterstützen, müssen Absprachen zum Antritt in den Wahlkreisen treffen. Dazu zählen, neben kleineren Parteien, insbesondere Renaissance (die von Emmanuel Macron gegründete Partei, früher „En Marche!“), der Mouvement Démocrate (eine zentristische Partei, die 2007 aus verschiedenen Strömungen hervorgegangen ist), sowie Horizons (der frühere konservative Flügel von Renaissance, der sich unter der Führung des ehemaligen Premierministers Edouard Philippe als eigenständige Partei konstituiert hat). Ein Bündnis zwischen Renaissance und dem MoDem scheint derzeit Konsens zu sein, anders jedoch bei Horizons. Horizons wird voraussichtlich nicht Teil der gemeinsamen Liste „Ensemble“ sein und getrennte Finanzen haben. Die Absprachen zu einzelnen Wahlkreisen könnten demnach kompliziert werden. Auch eine Abspaltung des linken Flügels von Renaissance in eine eigenständige Fraktion nach der Wahl ist möglich. Sie würde weiterhin den Präsidenten unterstützen, würde durch mehr Eigenständigkeit aber ws Auswirkungen auf die Stabilität des präsidentiellen Bündnisses haben.

Ebenfalls gibt es Aussagen des Parteichefs von Renaissance, die auf eine Vermeidung von Konkurrenz zwischen Kandidierenden von Renaissance und Parteien der demokratischen Mitte hindeuten. Hier gibt es aber noch reichlich Unsicherheit darüber, wie ernst diese Aussage gemeint ist und welche konkreten Folgen sie hat. Sie könnte, muss aber nicht Teil einer republikanischen Front sein.

Republikanische Front: ein schwindender Konsens

Bis 2022 galt die informelle Vereinbarung zwischen allen nicht-rechtsextremen Parteien und Kandidierenden: Erreichen Kandidierende des Rassemblement National den zweiten Wahlgang, ziehen sich alle anderen Kandidierende bis auf die bzw. den Bestplatzierten zurück und rufen zur Wahl gegen den RN auf. Durch diese sogenannte „republikanische Front“ war der RN bis 2022 kaum in der Nationalversammlung vertreten. Vor der Wahl 2022 stellte er nur acht Abgeordnete.

Diese „republikanische Front“ hat bereits 2022 Auflösungsentscheidungen gezeigt. Der Präsident rief sowohl 2022 als auch 2024 statt zur republikanischen Front  zu einem „republikanischen Bogen“ („arc républicain“) auf, der die Linksaußen-Partei LFI explizit nicht miteinschließt. Teile von Les Républicains (LR) teilen diese Ansicht. Es gibt auch im linken Lager Diskussionen darüber, nicht mehr zugunsten von Renaissance- oder LR-Kandidierenden zurückzutreten. Der Vorwurf an die Regierung, ein Duell zwischen ihr und rechtsextremen Kräften zu ihrem Vorteil (und dem Nachteil anderer Parteien) zu inszenieren, ist im gesellschaftlichen Diskurs sehr präsent und trägt dazu bei, das Konzept der republikanischen Front zu schwächen.

Gleichzeitig ist die Strategie des Rassemblement National, sich als salonfähige, nicht-extreme Partei darzustellen, in weiten Teilen aufgegangen. Der RN schreckt die Wählenden nicht mehr so ab wie noch 2017, radikale Programmpunkte werden geschickter verpackt und die Partei versucht, kontroverse Fragen möglichst zu umschiffen. Das senkt die Bereitschaft der Wähler:innen, die republikanische Front auch unter schwierigen Umständen aufrechtzuerhalten.

Was bedeutet das für Frankreich? Zwei cohabitation-Szenarien

Aktuelle Umfragen gehen davon aus, dass der rechtsextreme Rassemblement National deutliche Stimmenanteile gewinnt, während die Verbündeten des Präsidenten gegenüber 2022 starke Verluste erleiden (siehe hier, hier, hier und hier). Die Prognosen sind mit großen Unsicherheiten behaftet: weniger bezüglich der Stimmenanteile für einzelne Parteien, mehr für die tatsächliche Anzahl an Abgeordneten, die dadurch für die verschiedenen Parteien in die Nationalversammlung einzieht.

Die Wahlkampagnen haben kaum begonnen, eine sichere Aussage über den Wahlausgang kann niemand treffen. Szenarien wie eine absolute Mehrheit für das Bündnis um Emmanuel Macron (die den Präsidenten merklich stärken würde) oder für die neue Volksfront sind nicht unmöglich, die Umfragen spiegeln nur den Ist-Zustand wider. Wahrscheinlicher erscheint zum jetzigen Zeitpunkt jedoch das Eintreten zwei anderer Szenarien, die beide eine cohabitation zur Folge hätten.

Eine cohabitation bedeutet, dass Präsident und Premierminister:in unterschiedlichen politischen Lager angehören. Der Präsident, im Falle übereinstimmender politischer Zugehörigkeit die Schlüsselposition im politischen System Frankreichs, wäre in diesem Szenario deutlich geschwächt. Ohne die Unterstützung der Regierung und der Nationalversammlung schrumpft seine Macht. Die Gestaltungsfähigkeit politischer Inhalte läge nunmehr bei der anderen Spitze der Exekutiven, dem bzw. der Premierminister:in. Der Präsident bleibt jedoch für die volle Amtszeit, also bis 2027 fest im Amt, und verfügt weiter über Einflusshebel wie die Möglichkeit, im Abstand von einem Jahr die Nationalversammlung aufzulösen.

Szenario 1: Absolute Mehrheit des RN, cohabitation mit einer rechtsextremen Regierung

Eine absolute Mehrheit des RN ist laut derzeitigen Umfragen nicht ausgeschlossen. In diesem Fall würde der RN den Premierminister stellen, der RN sieht dafür Parteichef Jordan Bardella vor. Marine Le Pen will Präsidentin werden, nicht Premierministerin.

Die Machtaufteilung zwischen Präsident und Premierminister:in ist bei einer cohabitation kompliziert. Die Verfassung liefert für diesen Fall keine besonders spezifische Anleitung, aber einige Leitplanken zur Zuständigkeit von Präsident und Regierung. Konkret hieße das: Der RN schlägt alle Minister:innen vor, hat in der Nationalversammlung die Mehrheit, um Gesetze und Haushalt zu verabschieden und verfügt über den gesamten Regierungsapparat. Frühere Fälle von cohabitation zeigen, dass die Regierung ihre inhaltliche Linie weitgehend umsetzen kann, der Präsident sie nicht verhindern kann.Der Präsident wiederum hat die meisten Eingriffsmöglichkeiten bei Personalentscheidungen (Ernennung von Minister:innen, hohen Beamt:innen, Präfekt:innen etc.). Allerdings ist er dabei aber auf Vorschläge der Regierung angewiesen und muss sich zu diesen verhalten. Auch als Hüter der Verfassung hat der Präsident Kontroll- und Vetomöglichkeiten.

Jenseits dieser Aufteilung gibt es viele rechtliche Grauzonen. Diese müssen in der Praxis mit von Fall zu Fall politisch verhandelt werden, um dennoch Entscheidungen zu fällen. Bereits in früheren cohabitations mussten Parteien der Mitte sich dem stellen; es war kompliziert, langwierig, und eine Herausforderung für die französische Demokratie. Dies wäre es umso mehr für Verhandlungsparteien, die politisch tiefe Gräben trennt.

Sofern die RN-Regierungspolitik im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen stattfände, könnte sie diese weitgehend umsetzen. Das hat auch die Erfahrung früherer Fälle der cohabitation gezeigt. Der Präsident befände sich im permanenten Ringen mit der Regierung, seine Handlungsmöglichkeiten lägen vor allem bei Verhinderungs-, Verzögerungs- und Kontrollmaßnahmen. Die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und der Verfassung würde seine zentrale Aufgabe werden.

Ein weiteres Machtungleichgewicht entsteht durch die Verfügbarkeit des Regierungsapparats. Der Präsident verfügt nur über ein äußerst überschaubares politisches Team im Elysée. Der eigentliche Regierungsapparat mit seinen Tausenden Beamt:innen, die Expertise der Ministerien und aller anderen Verwaltungsbereiche entziehen sich seinem direkten Zugriff. Es ist leicht vorstellbar, dass eine cohabitation zwischen zutiefst verfeindeten politischen Kräften dazu führen könnte, dass die Regierung den Präsidenten von diesen Informationen und Ressourcen abschneiden oder auf ein absolutes Minimum reduzieren würde.

Verfehlt der RN die absolute Mehrheit knapp, wäre ein Regieren mithilfe der konservativen LR zumindest nicht gänzlich undenkbar. Programmatische Anknüpfungspunkte gäbe es zum Beispiel in den Bereichen Einwanderung, Sicherheit und Justiz. Ob die Partei LR zu einer Einigung mit dem RN grundsätzlich bereit ist, ist vollkommen unklar. So vehement ein Wahlbündnis mit dem RN ausgeschlossen wurde, so schnell preschten Kritiker:innen dieses Wahlbündnisses mit Aussagen vor, in denen sie eine Wahl von RN-Abgeordneten im zweiten Wahlgang gegen linke Kandidierende befürworteten. Hier würde in weiten Teilen das geschilderte Szenario eintreten, mit inhaltlichen und personellen Konzessionen an LR.

Szenario 2: Dreigeteiltes Parlament

Nach derzeitigen Prognosen wird der Präsident mit einer Nationalversammlung konfrontiert sein, die keine klare Mehrheit aufweist und in drei Blöcke gespaltet ist, die tiefe politische Gräben trennt (seine Verbündeten, den RN, und die linke Volksfront).

Eine Zusammenarbeit mit dem RN seitens der Unterstützer:innen Macrons oder der Volksfront sind so gut wie ausgeschlossen, beide haben sich gegen den RN konstituiert. Doch auch Absprachen zwischen dem Lager des Präsidenten und einem linken Bündnis erscheinen in der derzeitigen polarisierten Lage äußerst schwierig. Eine Zusammenarbeit könnte vielleicht unter Rücknahme von Gesetzen, die im linken Lager besonders abgelehnt werden (wie der Erhöhung des Renteneintrittsalters) entstehen. Das wäre für Präsident Macron ein enorm hoher politischer Preis. Ob er dazu bereit wäre und in welchen Bereichen ihm das linke Bündnis im Gegenzug entgegenkommen könnte, erscheint derzeit vollkommen offen.

Gelingt eine solche Kooperation nicht, stünde Frankreich vor dem Novum einer blockierten Nationalversammlung. Eine solche, in ihrer Machtarchitektur strukturell dysfunktionale cohabitation, hat es nie gegeben. Wie mit einer solchen Blockade umgegangen werden könnte, ist ebenso offen. Vorstellbar wäre ein technokratisches Kabinett ohne Gestaltungsfähigkeit, das aber kaum in der Lage wäre, einen Haushalt zu verabschieden. Mutmaßlich könnten punktuell nationale oder europäische Akzente in Konsensbereichen gesetzt werden, politisch wäre  aber in vielen Bereichen Stillstand zu erwarten. Nach einem vollen Jahr dieses Übergangszustands hätte der Präsident die Möglichkeit, die Nationalversammlung erneut aufzulösen und dann auf ein klareres Ergebnis zu hoffen.

Fazit: Ein Stresstest für die französische Demokratie

Die Neuwahlen zur Nationalversammlung stellen die französische Politik vor erhebliche Unsicherheiten. Das Zusammenspiel zwischen einem komplexen Wahlsystem, einer zersplitterten, polarisierten politischen Landschaft und einer historisch einmaligen Situation belastet jede Prognose mit enormen Unwägbarkeiten. Dass das Wahlsystem und die republikanische Front den rechtsextremen RN von der Macht fernhalten, ist nicht mehr gesichert. Eine mögliche cohabitation würde die politische Gestaltungsfähigkeit des Präsidenten stark einschränken und die französische Demokratie vor einen großen Stresstest stellen.  Die nächsten Wochen und werden vor diesem Hintergrund entscheidend.

 

Foto: CC Marco Castro, Quelle: Unsplash